47 Prozent der heutigen Jobs werden bald von Maschinen erledigt werden; wer heute etwas baut, sollte deshalb an die Menschen denken, die nicht von Maschinen ersetzt werden, sagte der schottische Ökonom Graeme Maxton. Er war zur Mipim nach Cannes eingeladen worden, um zum 25. Jubiläum der Messe, die vielen als die wichtigste Immobilienmesse der Welt gilt, über die kommenden 25 Jahre zu reden.

 

Demonstranten verbannt

 

So viel Offenheit war den Veranstaltern nicht überall recht: Eine kaum wahrnehmbare Protestkundgebung, die erste in der Geschichte der Mipim, durfte nicht auf den Allées de la Liberté - einen Steinwurf vom Palais des Festivals entfernt - auftreten, sondern wurde um weitere zwei Steinwürfe in die Altstadt verbannt. Parolen wie "Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Assetklasse" mussten sich folglich nicht die Boule spielenden Messebesucher anhören, sondern die Mitarbeiter im Wahlbüro des gerade wahlkämpfenden Bürgermeisters Bernard Brochand.

 

Genau der hatte am Tag zuvor einen Vertrag mit Messeveranstalter Reed Midem unterschrieben, der die Mipim für weitere zehn Jahre an Cannes bindet. Dass es dort aber nach 25 Jahren des "Mipimismus" nun genug sei und die Messe aus Cannes verschwinden solle, weil das jeden März hier wie Heuschrecken für wenige Tage einfallende Immo-Business für bedenkliche Entwicklungen wie Gentrifizierung bzw. daraus resultierende Verdrängungsprozesse aus den Innenstädten dieser Welt verantwortlich sei, war quasi die Hauptforderung der Protestierer von Attac & Co.

 

Drinnen und draußen

 

Hätte man die wenigen Demonstranten zur Messe eingeladen, wären sie wohl erstaunt darüber gewesen, wie viel hier über leistbares Wohnen geredet wird. Und mit jedem Bürgermeister oder Stadtrat, der nach Cannes kommt, wird es mehr. Berlins Senator für Stadtentwicklung, Michael Müller (SPD), diskutierte etwa in einem Panel mit Wohnimmobilieninvestoren über Investments in Deutschland und verteidigte die heißdiskutierte Mietpreisbremse. Vermieter sollen damit die Mieten innerhalb von drei Jahren nur noch um 15 Prozent steigern können (gegenüber Vergleichsmieten in der Umgebung) - anstatt um 20 Prozent wie bisher. "Es gibt keinen Grund dafür, warum ein und dieselbe Wohnung nur wegen eines Mieterwechsels plötzlich um 20 Prozent mehr kosten soll", so Müller. "Da konnte sich etwas über Jahre hinweg unreguliert entwickeln."

 

Rolf Buch, CEO des großen Wohnungskonzerns Deutsche Annington, sagte, dass die Immobilienwirtschaft die Mietpreisbremse ohnehin akzeptiere - freilich auch deshalb, weil sie sich laut seinen Berechnungen kaum auswirkt: Die Mieterlöse der Deutschen Annington werden dadurch in den sieben größten deutschen Städten um 0,9 Prozent sinken - oder auch: weniger stark wachsen. Die Preisbremse löse nur das wahre Problem nicht: "Wir bauen zu wenige Wohnungen."

 

Berlin baut wieder selbst

 

In Berlin wurden 2012 7500 Wohnungen fertiggestellt, berichtete Müller, das waren in etwa so viele wie im nur halb so großen Wien. "Schnellere Baugenehmigungen sind nötig", so der Senator. Im Vorjahr wurden 12.500 Wohnungen baugenehmigt. Und die sechs landeseigenen Berliner Wohnbaugesellschaften beginnen auch wieder, selbst zu bauen, so Müller, und kaufen sogar wieder alte, schon einmal privatisierte Bestände auf.

 

250.000 Menschen sollten laut Schätzungen in den nächsten 15 Jahren nach Berlin ziehen. Schon heute gebe es "praktisch keinen Leerstand mehr, aber wir haben noch riesige Flächen in der Stadt zur Verfügung", so Müller. Innerhalb des S-Bahn-Rings seien davon zwar 90 Prozent in privaten Händen, doch die Stadt versuche, private Entwickler mit städtebaulichen Verträgen stärker in die Pflicht zu nehmen.

 

"Skandalöse Situation"

 

Ganz ohne Investoren kam ein weiteres Podium aus, das über leistbares Wohnen diskutierte. Organisiert wurde es von der International Urban Development Association (INTA). Deren Generalsekretär Michel Sudarski hatte unmissverständliche Botschaften für die (wenigen) Zuhörer parat: Europas Städte sollten endlich die "skandalöse Situation, dass Millionen in prekären Verhältnissen leben müssen", beseitigen. Insbesondere in den Stadtzentren könne sich die Mittelschicht der hohen Preise wegen nicht halten.

 

Anderswo hat man noch ganz andere Sorgen. Brasilien, eines von drei "Countries of Honour" der heurigen Mipim, sucht nach Investoren, um den Menschen in den Favelas bessere Behausungen bieten zu können. Das Land richtet heuer die Fußball-WM und 2016 die Olympischen Spiele aus. Im Fahrwasser dieser Großereignisse könne man leichter Aufmerksamkeit erregen, sagte Bruno Guaranys von der Entwicklungsgesellschaft Codin zum Standard. Bei seiner Präsentation "Invest in Rio" fanden sich allerdings nur eineinhalb Dutzend Zuhörer ein.

 

Besser besucht waren Vorträge über das (mit der Türkei) dritte "Country of Honour", Russland - und zwar vorwiegend von Russen. Im Vordergrund standen auch dort Großereignisse wie die Fußball-WM 2018 und neue Stadtteile, die rund um die Stadien entstehen sollen. Die Ukraine war höchstens Smalltalk-Thema.

 

Mipim expandiert

 

Dabei schickt sich auch die Mipim an, neue Terrains zu erobern. In Hongkong fand im Vorjahr erstmals die "Mipim Asia" statt; in Tokio wird es 2015 eine Mipim geben, in London noch heuer die Mipim UK. Und auch in Cannes geht es weiter. Die Protestierenden von Attac & Co wollen auch im nächsten Jahr wiederkommen.

 

Quelle: Martin Putschögl aus Cannes, DER STANDARD, 15.3.2014