Kein Land in Europa hat die Wirtschaftskrise so gut überstanden wie Polen. In der Zwei-Millionen-Metropole Warschau schießen neue Shoppingcenter, Bürocluster und Luxuswohnimmobilien wie die Schwammerln aus dem Boden. Und die Skyline der bislang nicht sonderlich attraktiven Hauptstadt an der Weichsel verändert im gefühlten Monatsrhythmus ihr Gesicht. Sogar von einem neuen Manhattan ist die Rede.

 

Einer der größten Befürworter dieser Entwicklung ist der polnisch-amerikanische Architekt Daniel Libeskind, der für den französischen Bauträger Orco Property Group im Warschauer Zentrum den 192 Meter hohen Wohnturm Zlota 44 entwarf: "Dieses wunderschöne Hochhaus ist nur der Beginn", sagt er im Gespräch mit dem Standard. "Eines Tages wird Zlota 44 in der Warschauer Skyline gar nicht mehr auffallen. Auf diesen Tag freue ich mich schon."

 

Und der könnte bald kommen. Denn obwohl Zlota 44 kurz vor Fertigstellung noch zu 75 Prozent (Stand Ende 2013) leer steht und sich allmählich Zweifel regen, ob Warschau die neu geschaffene Flut an Wohn- und Büroquadratmetern überhaupt zu absorbieren imstande ist, wird im Akkord weiterentwickelt und weitergebaut.

 

Neben den 251 Wohnungen im Libeskind-Tower, die am freien Markt für 22.000 Zloty (5277 Euro) bis 60.000 Zloty (14.391 Euro) pro Quadratmeter angeboten werden, entsteht im Warschauer Finanzzentrum eine ganze Schar großvolumiger Projekte, spektakuläre Aussicht inklusive. Der Fokus richtet sich auf die Gegend rund um den Hauptbahnhof.

 

Expats als Zielgruppe

 

Im April soll, nur wenige Blocks von Zlota 44 entfernt, der 44-geschoßige Cosmopolitan Tower (252 Apartments, 32.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche) eröffnet werden. Eigentümerin des zweithöchsten Wohnturms Warschaus ist die polnische Tacit Development, geplant hat der deutsche Architekt Helmut Jahn, ein Haudegen in Sachen Stadtentwicklung auf internationaler Ebene. Auch hier bewegen sich die Quadratmeterpreise jenseits der 5000 Euro. Eine 195 m² große Wohnung im 41. Stock, so wird kolportiert, sei sogar für 1,2 Millionen Euro zu haben. Zielpublikum dieses Nobelapartments mit 360-Grad-Rundumblick seien Expats und polnische Geschäftsleute, meint Michal Borowski, Vorstandsvorsitzender bei Tacit, im Interview mit der Financial Times.

 

Doch die größte Projektentwicklung steht erst in den Startlöchern. Der belgische Investor Ghelamco plant nicht weit vom Rondo Daszynskiego den sogenannten Spire Tower. Die Eröffnung des 220-Meter-Büroturms ist für Mitte 2015 geplant. Umzingelt ist das Projekt von einigen niedrigeren Wohn- und Bürotürmen, die bereits in wenigen Monaten übergeben werden sollen. Insgesamt werden mehr als 100.000 Quadratmeter errichtet. Das Gesamtinvestitionsvolumen des bereits mit breeam "Excellent" vorzertifizierten Projekts beläuft sich auf 250 Millionen Euro. Die Miete in den oberen Etagen soll bis zu 26 Euro pro Quadratmeter betragen.

 

"Viel zu hohe Preise"

 

Und das ist nicht einmal ein Fantasiepreis, sondern entspricht den derzeit durchaus üblichen Mieten in Warschauer Toplage. Die wenigen existierenden Interessenten sind bereit, tief in die Tasche zu greifen. Während die Renditen in polnischen Provinzstädten bis zu 7,5 Prozent betragen, haben sie sich in der Hauptstadt bei mittlerweile 5,75 Prozent eingependelt. Von einer stabilen Situation ist vielerorts zu hören, doch dieser Meinung schließen sich längst nicht alle an.

 

"Die Wohn- und Büropreise sind bei einigen Projekten viel zu hoch angesetzt", meint Marcin Juszczyk, Vorstandsmitglied des Warschauer Projektentwicklers Capital Park. "Das merkt man allein schon daran, wie langsam die Flächen verwertet werden und wie hoch der dadurch entstehende Leerstand ist. Das sind Nischenprodukte."

 

Die komplette Vermarktung von Zlota 44 etwa, schätzt Juszczyk, werde noch Jahre dauern. Und ein Teil der Bauvorhaben, die heute in unzähligen Hochglanzbroschüren zu sehen sind, werde den Schritt in die Realität ohnehin nicht schaffen.

 

Auch Dietmar Reindl von der Immofinanz AG zeigt sich ob der so rosig beworbenen Entwicklung am Warschauer Immobilienmarkt etwas skeptisch: "Viele Projekte, die nach der Krise auf Eis gelegt wurden, befinden sich heute in der Pipeline. In den kommenden Jahren wird sich weisen, welche Projekte die Investoren realisieren werden und welche nicht."

 

Mit dem Bürocluster Nimbus entwickelt die Immofinanz derzeit selbst ein Office-Projekt. Die 19.000 Quadratmeter Mietfläche sollen im August eröffnet werden. "Doch eines ist klar: Büromieten um die 30 Euro und Eigentumspreise zwischen 5000 und 8000 Euro, wie sie in Warschau bislang an der Tagesordnung waren, sind definitiv überhitzt."

 

Lofts für den Stadtteil Praga

 

Etwas entspannter ist die Lage östlich der Weichsel. Ein Großteil der rund eine Million Quadratmeter Bürofläche, die in Warschau in den kommenden Jahren errichtet werden sollen (derzeit verfügt Polens Hauptstadt über vier Millionen Quadratmeter), entstehen im Stadtteil Praga, wo die Immobilienentwickler noch etwas zögerlich sind und die Gentrifizierung erst langsam vonstattengeht.

 

Die größte und vielleicht bekannteste Immobilienentwicklung ist das Projekt Koneser. Auf dem ehemaligen Fabrikationsgelände des Wodkaherstellers Koneser (polnisch für "Connaisseur") entwickelt die Warschauer BBI Development NFI SA ein Wohn- und Business-Areal mit 342 Lofts und Wohnungen, 22.000 Quadratmetern Bürofläche und 28.000 Quadratmetern Retail-Area. 2016 soll das Quartier, das schon jetzt von Musikveranstaltern, Künstlern und Galeristen zwischengenutzt wird, neu eröffnet werden.

 

Nachfrage entscheidet

 

Wie es in Warschau, dem aktuellen Immobiliendorado, tatsächlich weitergeht, hängt jedoch nicht nur von den Projektentwicklern, sondern auch von der Nachfrage des Marktes ab. Die Eröffnung von Zlota 44 wurde bereits um sechs Monate nach hinten verschoben, und zwar "aus gewissen Gründen, die wir nicht erläutern möchten", wie es beim Entwick-ler Ghelamco auf Anfrage des Standard heißt. Möge die Vision bei den künftigen Projekten eine bessere sein.

 

Quelle: Wojciech Czaja, DER STANDARD, 8.3.2014