Auf den ersten Blick sieht alles aus wie eine riesengroße WG: Da steht ein Vintage-Sofa, dort ein halbausrangiertes Fahrrad, hier ein Grüppchen Schaufensterpuppen. Hinter der blauen Stahltür, früher Damengarderobe, befinden sich die Büroräumlichkeiten der Anytime Architekten. Hinter einer anderen Tür, ehemals Herrengarderobe, sitzt heute der Linzer Fotograf Dietmar Tollerian. Und hinter Tür Nummer drei arbeiten die Ausstellungsmacher und Szenografen der Arbeitsgemeinschaft Argemarie.

 

"Unser Büro war früher mitten in der Stadt", sagt Christoph Weidinger von Anytime Architekten. "Doch nachdem wir von diesem Gebäude, seit wir denken können, immer schon begeistert waren, haben wir letztes Jahr beschlossen, unsere Sachen zu packen und hierher zu ziehen." Auch bei Tollerian, der das Haus schon seit vielen Jahren fotografisch dokumentiert, war es Leidenschaft: "Ich wollte immer schon hier arbeiten. Nun habe ich mir diesen Wunsch erfüllt." Neben der günstigen Nettomiete von 119 Euro für knapp 20 Quadratmeter ist es vor allem der Teamgeist, der ihn begeistert.

 

Step by Step

 

Gut für Chris Müller. Der ehemalige Intendant des Theaters im Hausruck ist heute Direktor für Entwicklung, Gestaltung und künstlerische Agenden der Tabakfabrik Linz Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft mbH. Seine Aufgabe ist es, für die Ende 2009 aufgelassene Tabakfabrik eine Nachnutzung zu finden. Angepeilt ist ein Step-by-step-Szenario für die kommenden 20 Jahre.

 

"Ein wesentlicher Teil dieses Szenarios lautet Zwischennutzung", sagt Müller. "Denn bevor wir mit der Sanierung und Verwertung der Mietflächen auf den Markt gehen können, müssen wir die ehemalige Tabakfabrik in der Bevölkerung zunächst einmal als das bekanntmachen, was sie später einmal werden soll, nämlich als dichten, kompakten Cluster für die Creative Industries."

 

Konkret geht es darum, die gesamte Kreativkette von Forschung und Wissenschaft über Kunst und produzierendes Gewerbe bis hin zum geistigen und materiellen Konsumieren in Form von Ausstellung und Verkauf zusammenzufassen und auf einem einzigen Areal zu bündeln. Müller, mit euphorischen Augen in die Zukunft blickend: "Dieses Konzept ist einzigartig. Wo gibt es das schon?"

 

80.000 Quadratmeter

 

Zu den bisherigen Mietern, die sich auf 6000 der insgesamt 80.000 Tabakfabrikquadratmeter niedergelassen haben, zählen Architekten, Designer, Eventveranstalter, Künstler und diverse Kulturschaffende. Auch Gaming-Börse, Tanzstudio, eine auf historische Verfahren spezialisierte Druckerei, der Radiosender Lounge FM sowie etliche Vereine haben hier ein neues Zuhause gefunden. Im Erdgeschoß gibt es zudem eine Kantine (siehe Foto) und einen als Bus getarnten "kiosque", der mit Suppen und Eintöpfen durch den Hof tourt. Insgesamt zählt die Tabakfabrik Linz heute 30 Betriebe, also rund 300 Nutzer.

 

"Natürlich haben wir Interesse, unsere Mieterinnen und Mieter lange an uns zu binden", erklärt Müller. "Dennoch sind wir gezwungen, die Mietverträge vorerst einmal zeitlich zu befristen. Denn schließlich steht am Ende der Entwicklung die Idee, die Bausubstanz zu sanieren und auf diese Weise für die Linzer, aber auch für internationale Betriebe attraktiv zu machen." Aufgrund der Befristung, so Müller, komme man den Mietern mit 25 Prozent Preisnachlass entgegen. Bei einem Mittelwert von 7,50 Euro kalt variieren die Mieten - abhängig von Lage, Größe und Ausstattung - derzeit zwischen zwei und zwölf Euro pro Quadratmeter.

 

Der erste Schritt der Langzeitentwicklung wurde soeben erfolgreich abgeschlossen: Bauteil zwei wurde saniert (siehe Artikel "Friedenspfeife mit der Zeit")  und im Dezember an die Mieter übergeben, zu denen neben Architekturbüro, Agentur und Möbelgalerie auch ein zweigeschoßiges Co-Working-Atelier zählt. Auf diese Weise wolle man nun die gesamte Tabakfabrik revitalisieren.

 

Straßenbahn zur Tabakfabrik

 

Über das Budget, das es in den kommenden zehn bis 20 Jahren zu lukrieren gilt, möchte Markus Eidenberger, Direktor für Finanzen und Entwicklung in der Tabakfabrik, vorerst noch kein Wörtchen verlieren. "Wir können nur in kleinen Einzelschritten denken und das Areal in Zusammenarbeit mit der Stadt nach und nach entwickeln. Ein Investitionsbudget für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte abzugeben wäre unseriös."

 

Die ungefähre Größenordnung ist dennoch abschätzbar: Bei einer Gesamtnutzfläche von 80.000 Quadratmetern wird die Stadt Linz - hundertprozentige Eigentümerin der Liegenschaft, wobei sie 49 Prozent direkt besitzt und 51 Prozent über die Tochtergesellschaft ILG (Immobilien Linz Gesellschaft) - rund 70 bis 100 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen. Dass sie dies auch wirklich tun wird, ist mehr als wahrscheinlich: 2018/ 2019 soll eine neue Straßenbahnlinie errichtet und direkt an der Tabakfabrik vorbeigeführt werden. Die Absichten der Stadt sind offensichtlich.

 

"Ist und bleibt Gewerbe"

 

Die nächsten Schritte der Zwischennutzung sind bereits fixiert: Am 6. März startet in der Tabakfabrik die Ausstellung "Tutanchamun. Sein Grab und die Schätze". Danach möchte man in einem Teil der leerstehenden, mitunter großvolumigen Räumlichkeiten ein Ausstellungsaufbaulabor etablieren. Nur eines sei definitiv ausgeschlossen: Wohnbau. "Das ist ein Gewerbestandort und soll auch einer bleiben", so Müller.

 

Quelle: Wojciech Czaja, DER STANDARD, 25.1.2014