Die Fenster im Erdgeschoß wurden mit Holzbrettern vernagelt, auf der Hauswand haben sich Graffitisprayer ausgetobt, das Licht im Obergeschoß ist immer aus: Das zweistöckige Biedermeierhaus in der Zollergasse im 7. Wiener Gemeindebezirk steht leer - und das, obwohl der Bedarf an Wohnraum in der Stadt stetig steigt. Fast zwei Millionen Menschen werden 2030 in Wien leben, also um 250.000 mehr als heute.

 

Noch scheint es für die Zuwanderer - zumindest in der Theorie - genügend Platz zu geben: Die Stadt Wien weiß von 30.000 leerstehenden Wohnungen, ungenutzte Flächen dürfte es aber noch viel mehr geben.

 

Plattform für Transparenz

 

Allein im Wiener "Leerstandsmelder" wurden seit November 2012 rund hundert leere Häuser markiert. Auf der Plattform, betrieben von der IG Kultur, können leerstehende Häuser in eine virtuelle Karte eingezeichnet und mit zusätzlichen Informationen, zum Beispiel geschichtlichen Details, versehen werden. Damit soll die Transparenz in der Stadt erhöht werden, erklärt Willi Hejda, Obmann der IG Kultur Wien. Er ist etwas mehr als ein Jahr nach dem Start zufrieden mit dem Leerstandsmelder, den man sich von deutschen Großstädten abgeschaut hat. Im Winter werde es zwar etwas ruhiger, aber im Frühling würden wieder mehr leerstehende Häuser gemeldet.

 

Die Problematik von Leerstand wurde zum Beispiel in der von der TU Wien im Auftrag der Stadt und in Kooperation mit der IG Kultur durchgeführten Studie "Perspektive Leerstand" 2012 aufgezeigt: Besonders leere Erdgeschoßbereiche würden einem Grätzel ein negatives Image verpassen, während belebte Bereiche eine positive Stimmung und Sicherheit vermitteln.

 

Früheres Szenelokal

 

Über das Haus im 7. Bezirk ist im Leerstandsmelder jedenfalls ein Eintrag vorhanden. Auch beim Bauausschuss der Bezirksvertretung kennt man es - nicht zuletzt, weil immer wieder Interessierte nachfragen, warum ein so zentral gelegenes Haus leersteht. Der Vorsitzende des Ausschusses, der grüne Bezirksrat Hans Briebauer, erzählt, dass sich in dem Haus bis in die 1980er-Jahre ein Szenelokal befand, das aufgrund mangelhafter sanitärer Anlagen geschlossen werden musste. Der Besitzer benutze es kaum, dafür werde es von der Wiener Graffiti-Szene stark frequentiert.

 

Im Leerstandsmelder sind gleich mehrere Häuser unweit der Mariahilfer Straße eingezeichnet. Das ehemalige Postamt in der Mondscheingasse zum Beispiel: "Es gibt Gespräche darüber, wie diese Räume genutzt werden sollen", erzählt der grüne Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger. Teile des Hauses sollen in Wohnungen umgebaut werden.

 

"Die Frage ist immer: Ist jemand willens und finanziell dazu in der Lage, eine Sanierung durchzuführen?", sagt Briebauer. Eine Problematik der Häuser im Grätzel sei außerdem, dass viele Altbauwohnungen mehr als 100 m² groß seien: "Da zahlt man selbst bei moderater Miete über 1000 Euro." Das könnten sich nur wenige leisten.

 

Grätzel-Management

 

Auch im 1. Bezirk gibt es viel ungenützten Raum, etwa im Textilviertel oder in Querstraßen zur Rotenturmstraße, berichtet die stellvertretende Bezirksvorsteherin Daniela Stepp (SPÖ). Es gebe Überlegungen, ein "Grätzel-Management" einzuführen: "Viele Jungunternehmer denken von vornherein, dass sie sich die City gar nicht leisten können, und suchen deshalb hier gar nicht." Dabei gebe es "riesige Preisunterschiede", etwa in der Tuchlauben, wo man an einem Ende fast das Zehnfache vom anderen Ende bezahle. Manche Hauseigentümer hätten auch kein Interesse an kurzfristiger Vermietung für mehrere Wochen oder Monate, obwohl es dafür Interessenten gäbe.

 

Auch Hejda wünscht sich mehr Möglichkeiten zur Zwischennutzung. Vermittler der auf ihrer Plattform gesammelten Häuser will die IG Kultur aber nicht sein, das sollte laut rot-grünem Koalitionsprogramm demnächst die Stadt Wien übernehmen. Doch die zuständige MA7 (Kultur) hat die "Agentur für Zwischennutzung" bisher nicht verwirklicht. Bisher - denn im Frühjahr soll laut dem Büro von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) "eine städtische Strategie für Leerstandsmanagement" vorgestellt werden.

 

Hejda wünscht sich für Zwischennutzer neben rechtlicher Unterstützung eine gute Betreuung: "Es gibt Theatergruppen, die einen Proberaum für zwei Wochen brauchen, und Gruppen, die ein Nachbarschaftszentrum aufbauen wollen", erklärt er die unterschiedlichen Erwartungen. Bedarf gäbe es genug, doch dafür werde mehr Information benötigt: "Viele Hauseigentümer haben Angst, Nutzer hineinzuholen, und bevorzugen absurderweise den Leerstand."

 

Quelle: Franziska Zoidl, DER STANDARD, 15.2.2014