Schandflecke, um mit den Worten des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl zu sprechen, hat wohl jede Stadt. In Wien war es der alte Bahnhof Wien Mitte, in Köln war es in den letzten Jahren das 2001 verlassene Hauptquartier der Deutsche Bahn AG, auch bekannt als ehemalige Eisenbahndirektion Cöln. Das 1913 errichtete klassizistische Bauwerk, das nur wenige Schritte von Hauptbahnhof und Hohenzollernbrücke entfernt steht, verfiel zusehends und behauste zuletzt nur noch Ratten und Tauben. Damit ist jetzt Schluss.

 

Bis Frühjahr 2016 soll der gigantische Bau am Rheinufer nach Plänen des Aachener Büros kadawittfeldarchitektur, das als Sieger aus einem anonymen und begrenzten Architekturwettbewerb hervorging, umgebaut und erweitert werden. Unter anderem erhält das im Zweiten Weltkrieg zerbombte und teilweise ausgebrannte Haus sein altes Mansarddach zurück - oder zumindest eine formal angelehnte, besser verwertbare Neuinterpretation dessen.

 

Mietkosten geheim

 

Hinter dem Projekt, das auf der letzten Expo Real 2013 in München als eines der Deutschland- Highlights vorgestellt wurde, steckt die Hochtief Projektentwicklung GmbH. Als Investorin des 128 Millionen Euro teuren Projekts (Gesamtinvestitionskosten) fungiert die Commerz Real. Obwohl das 22.000 Quadratmeter große Objekt ursprünglich als vielfach teilbares Bürogebäude konzipiert worden war, fand sich mit der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) eine einzelne Großmieterin. Laut Mietvertrag ist sie für 20 Jahre an das Haus gebunden. Die Mietkosten sind geheim, liegen nach Auskunft von Thomas Leise, Projektentwickler bei Hochtief, jedoch in einem "durchaus wirtschaftlichen Bereich, der nahe an der in Köln erzielbaren Spitzenmiete" liegt.

 

"Lieber Neubau als Ruine"

 

Nicht nur die architektonische Gestaltung des neues EASA-Headquarters zieht die Blicke auf sich, vor allem in baulicher und technischer Hinsicht ist das denkmalgeschützte Haus, das mit dem Nachbargebäude über eine Art Seufzerbrücke verbunden ist, ein Blickfang. Da die alte, bestehende Bausubstanz unter ökonomischen Bedingungen nicht mehr zu sanieren und den aktuellen Sicherheits- und Brandschutzvorschriften anzupassen war, wurde mit dem Kölner Denkmalamt vereinbart, den Kern bis auf das Fundament abzureißen und nur noch die drei historisch wertvollen Hauptfassaden zu erhalten.

 

"Das Haus war in seinem baulichen Zustand nicht mehr marktfähig", erklärt Leise. "Sogar die CA Immo, die sich an diesem Bau vor einigen Jahren mit Plänen für ein Grand Hotel versuchte, ist daran wirtschaftlich gescheitert." In langen, intensiven Diskussionen mit dem Denkmalamt sei man daher zum Schluss gekommen, dass ein Teilabbruch die einzig sinnvolle Maßnahme sei, um den innerstädtischen Schandfleck zu tilgen und das Bauwerk verwertbar zu machen und auf diese Weise zu retten. Leise: "Mit einer denkmalgeschützten Ruine wäre niemandem geholfen gewesen."

 

Historische Bauteile auf Lager

 

Die Abbrucharbeiten sind abgeschlossen. Die Fassade wird derzeit von einer 18 Meter tief ins Erdreich gerammten Stahlkonstruktion gestützt. Doch sie ist nicht die einzige Bausubstanz, die erhalten geblieben ist. Die ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Raumsequenz im Foyer (siehe Foto) wurde archäologisch gesichtet, per Laser ausgemessen, in ihre Bestandteile zerlegt und anschließend katalogisiert. Die originalen Mosaikfußböden, Wandverkleidungen aus Marmor, Stiegenläufe und gusseisernen Geländer werden derzeit zwischengelagert und warten auf den Einbau.

 

"Technisch gesehen handelt es sich eher um einen Neubau als um eine Sanierung", sagt Architekt Burkhard Floors, Projektleiter bei kadawittfeld. "Dennoch haben wir uns sehr darum bemüht, möglichst viel vom historischen Ambiente dieses Hauses zu erhalten. Der Neubau soll als solcher nicht in Erscheinung treten - zumindest nicht in den halböffentlichen Bereichen im Erdgeschoß."

 

Profitieren vom Neubau werden vor allem die Mitarbeiter in den oberen Etagen, denn das neu geschaffene Stahlbetoninnenleben des gesamten Hauses wurde um 50 Zentimeter nach oben gerückt. Auf diese Weise reduziert sich die Parapethöhe von dereinst kerkerartigen 110 Zentimetern auf 60 Zentimeter, was ein selbst im Sitzen bequemes Hinausschauen auf den Rhein ermöglicht. Und die abgetreppten Dachgeschoße, die in der Kontur des ursprünglichen Mansarddachs liegen, verfügen über Oberlichten, baulich integrierten Sonnenschutz sowie rundum laufende Terrassen mit abgeschrägten Brüstungen.

 

Vorzertifikat: DGNB Silber

 

Insgesamt wird die EASA-Zentrale Platz für 900 bis 1000 Mitarbeiter bieten. Zu den Sonderwünschen, die mit dem Generalmieter ausverhandelt wurden, zählen diverse Kongress- und Schulungsräume, eine Großküche mit Kantine sowie eine Multifunktionshalle, die die Belegschaft für Sport und Musik nutzen kann. Geplant ist außerdem eine Garage mit 120 Stellplätzen.

 

Die Neue Direktion Köln - unter diesem Titel wird das Projekt vermarktet - wurde mit DGNB Silber vorzertifiziert. Grund dafür ist die Haustechnik, die ohne Klimatisierung auskommt. Geheizt und gekühlt wird einzig und allein über Fernwärme und Grundwasser aus dem Rhein, das über Wärmetauscher in Heiz- und Kühldecken durch das Gebäude geleitet wird. Geht alles nach Plan, soll der als Restaurierung getarnte Premium-Neubau nach zwei Jahren Bauzeit im Frühjahr 2016 an die EASA übergeben werden. 

 

 

 

Wojciech Czaja, DER STANDARD, 26.4.2014